Panel “Vulnerabilität als Ungewissheitsfaktor. Marginalisierung und Agency gesundheitlich versehrter Displaced Persons im Migrationsregime der Nachkriegszeit” beim 15. Zeitgeschichtetag in Graz

Vom 11. bis zum 13. März findet an der Universität Graz der 15. Zeitgeschichtetag zum Thema “Zeitenwende – Wendezeiten?” statt.

Einen der Schwerpunkte in diesem Jahr bildete das Thema “Un-Gewissheiten und Un-Sicherheiten”. Für diesen Schwerpunkt gestalteten Johannes Glack (Universität Wien), René Bienert (KZ Gedenkstätte Flossenbürg) und Jessica Wehner (Universität Osnabrück) ein Panel zu “Vulnerabilität als Ungewissheitsfaktor. Marginalisierung und Agency gesundheitlich versehrter Displaced Persons im Migrationsregime der Nachkriegszeit”. Den Chair des Panels übernahm Dr. Linda Erker (Universität Wien).

1945 wurden Millionen Menschen aus Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern befreit. Anders als von den Alliierten geplant, wollten viele dieser sogenannten „Displaced Persons“ (DPs) nicht in die
frühere Heimat zurück, wodurch sie – ausgerechnet in Deutschland und Österreich – mit ungewisser Zukunft strandeten. 1947 übernahm die International Refugee Organization (IRO) die Versorgung der DPs und führte das Resettlement in aufnahmebereite Drittstaaten ein. Präferiert wurden junge, gesunde und somit voll arbeitsfähige Menschen, weswegen die Auswahl nicht allein einem humanitären, sondern auch einem Produktivitäts- und Nützlichkeitsparadigma folgte. Die für das Resettlement, aber auch für diverse Aushandlungsprozesse, ausschlaggebende Frage nach der physischen und psychischen Gesundheit der DPs wurde bisher kaum erforscht.

Hier setzt das Panel an und blickt auf die bisher kaum beleuchteten Schicksale, aber auch auf Herausforderungen und Un-Gewissheiten. Zunächst wird das Potenzial von DP-Krankenakten als eine zentrale Quelle zur Erforschung des Themas aufgezeigt. Anschließend werden anhand einer regionalgeschichtlichen Perspektive die Versorgung psychisch versehrter DPs und ihre Schicksale thematisiert. Der dritte Beitrag zeigt am Beispiel jüdischer DPs auf, dass und welche Handlungsspielräume es dennoch gab.

Im ersten Beitrag “Weiterleben danach. Krankenakten zu Displaced Persons in den Arolsen Archives” stellte René Bienert den Krankenakten-Bestand der Arolsen Archives vor. Hinsichtlich der Auswirkungen der Verfolgung bieten Krankenunterlagen ein bisher kaum genutztes Potenzial, enthalten sie doch weit mehr als bloße medizinische Dokumentation: Neben Mosaiksteinen zu Verfolgungswegen und zum Leben danach finden sich beispielsweise Briefe, Lebensläufe oder ganze „social histories“ über die Betroffenen und deren Angehörige. Sie belegen nicht nur die physischen und psychischen Verheerungen, welche Zwangsarbeit, Verfolgung, Inhaftierung und Gewalterfahrung, aber auch Entwurzelung und Ungewissheit hinterließen, sondern auch deren Auswirkungen, beispielsweise auf Auswanderungschancen oder Entschädigungsansprüche. Sie spiegeln zudem die teils langwierige medizinische und soziale Versorgung derjenigen, die als DPs, unterstützt von alliierten Hilfsorganisationen, im Land der Täter strandeten, aber ebenso deren Agency und Spielräume und erhellen die unbekannten Schicksale derjenigen, die bisher im Schatten so vieler DPs standen, die bald woanders ein neues Leben aufbauen konnten. Nach einem Überblick und Zugängen zum Bestand skizzierte der Beitrag an Beispielen die Potenziale und Grenzen für die Forschung und Bildung.

Siehe dazu auch:

  • René Bienert / Jörn Hendrik Kischlat, Krankenunterlagen zu Displaced Persons. Potential eines bisher für die Forschung ungenutzten Bestands im ITS, in: Rebecca L. Boehling (Hg.), Freilegungen. Displaced persons. Leben im Transit: Überlebende zwischen Repatriierung, Rehabilitation und Neuanfang, Göttingen 2014, S. 90–104.

Unter dem Titel “‘Isolated in a Strange World’ – Die Versorgung psychisch versehrter Displaced Persons in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück (1946-1952)” diskutierte Jessica Wehner die Bedeutung der Zuschreibung von “Krankheit” und “Gesundheit” für DPs im Nachkriegseuropa. Für den Beitrag dient die Stadt Osnabrück als Fallstudie, denn dort wurden bis Juni 1945 ca. 20.000 DPs registriert und in mehreren Camps untergebracht. Das Camp „Eversburg“ diente als Rehabilitation Center für versehrte Personen. Die damalige Landes-Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück versorgte in den Nachkriegsjahren ehemalige Zwangsarbeiter:innen und Häftlinge aus Osnabrück und dem Umland.
Im Niedersächsischen Landesarchiv Osnabrück sind 34 Krankenakten erhalten, welche die Behandlung von DPs dokumentieren und damit Aufschluss über Einweisungskontexte, Diagnosen und den Umgang mit den Patient:innen geben. Ausgehend von den Krankenakten der Anstalt und den Unterlagen der International Refugee Organization (IRO) blickte der Beitrag auf die medizinische Versorgung psychisch versehrter DPs einerseits und den Umgang mit Un-Gewissheiten andererseits. Der Beitrag thematisierte damit nicht nur die spezifischen Erfahrungen traumatisierter DPs in Osnabrück, sondern zugleich einen wichtigen Meilenstein der generellen Anerkennung von psychischen – durch Gewalterfahrungen, Verlust und Heimatlosigkeit induzierten – Erkrankungen.

Siehe dazu auch:

  • Jessica Wehner & Christoph Rass: “Schläft, tobt, schreit” – Psychisch versehrte “Displaced Persons” in der Landes- Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück 1945 bis 1952, in: Osnabrücker Mitteilungen, 128. 2023, S. 235-260.
  • Jessica Wehner & Lukas Hennies: Krieg – Psyche – Trauma. Displaced Persons zwischen Elektroschock und Vermittlung ins Resettlement, in: nghm-hypotheses, 26.04.2021, URL: https://nghm.hypotheses.org/2916

Der dritte Beitrag – “Auf der Suche nach Selbstbestimmung. Kollektive Organisierung als Ausdruck von Agency jüdischer DPs mit gesundheitlichen Herausforderungen nach 1945” – von Johannes Glack thematisierte konkret Erfahrungen jüdischer Überlebender.
Unter den aus Konzentrationslagern und Zwangsarbeit befreiten Jüdinnen und Juden waren Tausende, die aufgrund von gewaltinduzierter körperlicher Versehrtheit intensive medizinische Betreuung benötigten. Ihre spezifische Situation schloss sie bis zum Beginn der 1950er- Jahre vom Resettlement – zunächst auch nach Israel
– aus. Ihnen standen weitere Jahre, in manchen Fällen sogar Jahrzehnte, in Camps bevor. Doch jüdische DPs mit gesundheitlichen Problemen wehrten sich gegen die Stigmatisierung chronisch Kranker als hilflos und handlungsunfähig und versuchten, ihre Migrationsmöglichkeiten und Lebensbedingungen durch politische Selbstorganisation durchzusetzen. 1949 traten mehrere tuberkulosekranke DPs im Rehabilitationszentrum Ebelsberg bei Linz in den Hungerstreik, um gegen die Lebensbedingungen im Camp zu protestieren. Ein halbes Jahr später, im Mai 1950, hielten DPs aus dem gleichen Rehabilitationszentrum einen Kongress aller kranken DPs in der US-Zone ab und versuchten, sich länderübergreifend zu organisieren, um ihre Migrationsmöglichkeiten zu verbessern. Diese und andere Beispiele zeigen deutlich, wie gesundheitlich eingeschränkte jüdische DPs nach Selbstbestimmung über ihr Leben strebten. Ein Aspekt, der in der Forschung bisher wenig Beachtung gefunden hat und deshalb Thema dieses Vortrags war.

In der anschließenden Diskussion wurden Fragen nach der Besonderheit der Quellengattung “Krankenakte” sowie der Umgang mit Personendaten und Anonymisierung diskutiert. Aber auch Aspekte der Kontinuität des Pflege- und Ärzt:innenpersonals und der zeitgenössischen Interpretation von Versehrtheit wurden angesprochen. Zuletzt bildete ein Schwerpunkt in der Diskussion auch die vielfältigen Selbst- und Fremdkategorisierungen versehrter DPs.

Das Panel zeigte damit das enorme Erkenntnispotential das die Beschäftigung mit den verschiedenen Krankenakten bietet. Neben Einblicken in individuelle Biographien und Auswirkungen von Versehrtheit bietet die Rückbindung an die Organisation der Versorgung und Rehabilitierung der Personen Einblicke in die Wahrnehmung und Deutung von als versehrt kategorisierte Personen durch Organisationen wie die International Refugee Organization. Am Beispiel versehrter Displaced Persons zeigt sich deutlich die Ambivalenz humanitärer Abwägungen einerseits und Nützlichkeitsüberlegungen durch die Aufnahmeländer andererseits.

Johannes Glack, Jessica Wehner, René Bienert und Linda Erker (Foto: Lena Christoph)

Konzepte der Agency von Geflüchteten und Zwangsmigrant*innen: Historische und gegenwärtige Perspektiven. Workshop-Rückblick

Am 5. April 2024 luden Dr. Marcel Berlinghoff (IMIS/ FFVT), Dr. Sebastian Huhn (IMIS/ Negotiating Resettlement, DFG) und Prof. Dr. Christoph Rass (IMIS/ SFB 1604) zu einem interdisziplinären Workshop über die Konzeptionalisierung von Agency von Zwangsmigrant*innen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand eine interdisziplinäre Diskussion über reflexive Ansätze zur Konzeptionalisierung der Agency von Zwangsmigrant*innen in Vergangenheit und Gegenwart. Der Workshop war die erste Veranstaltung des in der selben Woche gestarteten SFB 1604, gemeinsam ausgerichtet mit dem DFG-geförderten Projekt Negotiating Resettlement und dem BMBF geförderten Projekt Flucht und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer (FFVT).

Christoph Rass eröffnete die Veranstaltung mit einleitenden Worten zu aktuellen Diskussionen über die Agency geflüchteter Menschen, zu analytischen Herausforderungen ihrer Erforschung und den Potentialen reflexiver Forschung zum Thema. Anschließend sprach Sebastian Huhn über die Agency der sogenannten Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg und ihre Verhandlung von Mobilität innerhalb des Resettlement-Projekts der International Refugee Organization. Dieses Projekt, so Huhns These, beinhaltete systemimmanente Spielräume für Agency, die die individuellen Antragsteller*innen auf einen Flüchtlingsstatus mit glaubhaften Stories und der überzeugenden Selbstpräsentationen füllen mussten.

Dr. Marcel Berlinghoff und Dr. Sebastian Huhn, beide IMIS.
Prof. Dr. Christoph Rass, IMIS & SFB1604

Julia Stier vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) referierte anschließend zu ihrer Forschung über die Produktion und Replikation gemeinschaftlicher Vorstellungen über Migration und Mobilität anhand senegalesischer Migration. Dabei verwies Stier auf  das Missmatch, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher oder rechtlicher Kategorien und der Eigenbeschreibung der Migrant*innen. Mit dem Verweis auf die Bedeutung von Sprache öffnete sie eine weitere Dimension von Agency, die sich im Sprechen der Protagonist*innen über ihre Mobilität, den damit einhergehenden Selbstkonstruktionen sowie dem situativen Einschreiben in Kategorien ausdrückt.

Jessica Wehner, IMIS.

Im  dritten Vortrag ging Jessica Wehner (IMIS) am Beispiel einer Gruppe von Kalmücken der Frage nach, wie Gruppen im globalen Flüchtlingsregime nach dem Zweiten Weltkrieg als (re)imagined communities Einfluss auf ihre Mobilität nehmen konnten und welche Möglichkeiten und Hürden für Agency ihnen eine Selbst- und Fremdkategorisierung dabei gab oder in den Weg legte.

Dr. Katharina Schoenes & Julia Stier (WZB).

Katharina Schoenes (Berlin) thematisierte in ihrem Beitrag die Grenzen der Agency von Geflüchteten am Fall des gerichtlichen Umgangs mit homosexuellen Menschen, die aus Angst vor Verfolgung und Gewalt Asyl in Deutschland beantragt haben. Sie diskutierte Kontinuitäten und Wandel der in den Gerichtsverfahren dominierenden Vorstellungen über das Leben von Homosexuellen in unterschiedlichen Ländern und verwies auf die teils übergriffigen Vorschläge die Schutzsuchenden dabei zur Gewaltprävention gemacht würrden. Auch in ihrem Vortrag wurde die Bedeutung der Übereinstimmung von Erwartungen der Entscheider*innen und der Darstellung der Erlebnisse der Antragstellenden deutlich.

Annika Heyen, IMIS & SFB 1604.

Annika Heyen (IMIS) referierte im letzten Vortrag des Tages zu kollektiver Agency des World Jewish Congress (WJC) während der Bermuda-Konferenz im Jahr 1943. Die USA und Großbritannien hatten sich nach Bekanntwerden des Holocausts auf Bermuda getroffen, um über Rettungsmöglichkeiten für die europäischen Juden zu sprechen. Der WJC nutzte seine Möglichkeiten der Handlungsmacht als NGO, um die beiden Staaten, die ihre Rettungsansätze zunächst wenig ernst nahmen, unter Druck zu setzen.

Die Teilnehmer:innen des Workshops zur Konzeptionalisierung der Agency von Geflüchteten in Geschichte und Gegenwart im April 2024: Annika Heyen, Johannes Pufahl, Jessica Wehner, Marcel Berlinghoff, Thea Kruse, Julia Stier, Katharina Schoenes, Maik Hoops, Sebastian Huhn, Ahmet Celikten, Daniel Pissecker, Christoph Rass, Frederik Doktor.

Neben dem interdisziplinären Austausch über unterschiedliche Konzeptionalisierungen aber auch Konjunkturen sowie Grenzen von Agency-Konzepten in geistes- und sozialwissenschaftlichen Zugängen zu Mobilität wurde insbesondere darüber diskutiert, welche aktuellen Ansätze in der Anwendung auf Quellen und empirisches Material haltbar und gewinnbringend sind und wann wir Gefahr laufen, Agency geflüchteter Menschen überzuinterpretieren und ihr damit vielleicht stellenweise sogar zu viel Bedeutung beizumessen.

Dabei zeigten die Beiträge disziplin- und zeitübergreifend die Bedeutung von individuellen wie gesellschaftlichen Narrativen, der Performanz der Akteure, der Kontext- und Situationsbezogenheit von Agency sowie letztlich der Passgenauigkeit von Deutungsangeboten in Entscheidungssituationen – oder in der Kürze, in der es ein IRO-Entscheider auf einer Akte vermerkte: die Story des Antragstellers sei „plausible enough“.

Digitalisierungskampagne im Projekt ‘Die Emslandlager als Konfliktlandschaft in Transformation. Forschendes Lernen am Schnittpunkt von universitärer Lehrer:innenbildung, Gedenkstättenpädagogik und partizipativer Digital Public History’

Von Lea Horstmann & Imke Selle

Im März begab sich die Arbeitsgruppe des Projektes “Die Emslandlager als Konfliktlandschaft in Transformation: Forschendes Lernen am Schnittpunkt von universitärer Lehrer:innenbildung, Gedenkstättenpädagogik und partizipativer digital public history” für eine Digitalisierungskampagne ins Emsland. Es handelt sich bei diesem Projekt um ein durch das Programm Pro*Niedersachsen gefördertes Kooperationsprojekt zwischen der Professur für die Didaktik der Geschichte, der Gedenkstätte Esterwegen sowie der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung.

Inhaltlich setzt sich das Projekt mit den sogenannten “Emslandlagern” auseinander. Von 1933 bis 1945 bildete das System der fünfzehn “Emslandlager” im Nordwesten Deutschlands einen der größten Lagerkomplexe des NS-Regimes auf Reichsgebiet. Die ehemaligen Lagerstandorte sind über mehr als 100 Kilometer verteilt. In der Nähe der ehemaligen Lagerstandorte existieren zudem neun Friedhöfe für die in den Emslandlagern ermordeten Kriegsgefangenen, Konzentrationslagerhäftlinge und Strafgefangenen des NS-Regimes.

Die verschiedenen Standorte haben nach 1945 ganz unterschiedliche Transformationen durchgemacht und sind heute u.a. Gedenkstätte, Agrarfläche, Gewerbegebiet, Wohnsiedlung oder Justizvollzugsanstalt.

Das Projektvorhaben zielt u.a. darauf ab, die Überformung der historischen Standorte der “Emslandlager” von ihrer Nutzung als Lager bis heute digital zu dokumentieren und analysieren, sodass am Ende des Projektes ein digitales Informations- und Bildungsangebot entsteht. Dieses Angebot soll im Rahmen Forschenden Lernens mit dem Ziel entwickelt werden, das Ineinandergreifen sich wandelnder diskursiver Konstruktionen und materieller Repräsentationen von historischen Orten und Schauplätzen nachvollziehbar zu machen, das immer wieder Sicht- oder Unsichtbarkeit als Teil von Geschichtsnarrativen hervorbringt. Dieser für die „Produktion von Geschichte“ zentraler Prozess soll nun für die „Emslandlager“ aus gegenwärtigen pluralen Perspektiven nachvollziehbar und diskutierbar gemacht werden.

In den vergangenen Wochen stand die Digitalisierung der ehemaligen Lagerstandorte in ihrer heutigen Anmutung im Fokus der Arbeitsgruppe. Dazu wurden zunächst die Eigentümer der Flächen über die Digitalisierungskampagne informiert und ihr Einverständnis eingeholt. Danach begannen die konkreten Planungen der Kampagne. Die Kampagne musste in zwei Abschnitten stattfinden, da der Standort eines ehemaligen “Emslandlagers”, eine Ackerfläche, durch die landwirtschaftliche Nutzung zeitlich nur begrenzt betretbar war. Im Rahmen der ersten Teilkampagne am 12. März wurde dieser ehemalige Lagerstandort über 360°-Aufnahmen digitalisiert. Auch der Landkreis Emsland unterstützte die Digitalisierungskampagne. Für das Projekt beflog der Drohnenpilot des Landkreises Emsland mit einer Drohne den ehemaligen Lagerstandort in Fullen und auch die Kriegsgräberstätte Fullen.

In den letzten beiden Märzwochen hat die Arbeitsgruppe die verbliebenen ehemaligen Lagerstandorte digitalisiert. Wie in Fullen wurden dazu 360°-Aufnahmen der Gelände angefertigt. An weiteren ausgewählten Standorten machte der Drohnenpilot des Landkreises Emsland  Video- und Fotoaufnahmen mit einer Drohne. An den ehemaligen Lagerstandorten und auf den neun ehemaligen Lagerfriedhöfen wurden zudem zahlreiche 3D-Scans von Überresten und Erinnerungszeichen angefertigt.

Mit dem Abschluss der Digitalisierungskampagne hat die Arbeitsgruppe einen ersten Meilenstein des Projekts erreicht. In den nächsten Wochen werden sich die Mitarbeiter:innen der Arbeitsgruppe mit der Auswertung und Verarbeitung der Daten sowie mit der Planung der digitalen Angebote beschäftigen. Die digitalen Angebote sollen die Raumdimension der ehemaligen “Emslandlager” sowie deren Transformation sichtbar machen und es Nutzer:innen erlauben,  eigene Fragestellungen durch neue Anordnungen oder konzeptionelle wie inhaltliche Erweiterung forschend lernend zu erarbeiten.

Ein herzlicher Dank gilt allen Eigentümer:innen der Grundstücke sowie dem Landkreis Emsland bei der Unterstützung der Digitalisierungskampagne!

NGHM – Publikation

Im soeben erschienenen Band 27 der Archiv-Nachrichten Niedersachsen publizieren Jeanine Wasmuth und Christoph Rass Neues aus dem Projekt Massendatenbasierte Langzeitmodelle migrationsinduziert wachsender Diversität im urbanen Kontext: Ausländerkarteien als Kulturgut und Grundlage reflexiver Migrationsforschung (gefördert vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, 2019-2024).

Im aktuellen Beitrag, der auf einen Vortrag im Rahmen des 6. Bremisch-Niedersächsischen Archivtags im April 2023 zurückgeht, diskutieren die Autor*innen das Entstehen von “Ausländermeldekarteien” im Deutschland der Zwischenkriegszeit als Teil einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung, bei der in vielen Arbeitsbereichen Großkarteien eingeführt wurden – die ebenfalls vom NGHM-Team digitalisierte und beforschte Osnabrücker “Gestapokartei” (gefördert von der DFG 2018-2022) hat, noch als Kartei der Politischen Polizei Preußens, etwa zeitgleich Ende der 1920er Jahre ihren Betrieb aufgenommen.

Ausgehend von dieser “Kartei-Revolution” verfolgen Wasmuth und Rass Betrieb und Wachstum der “Ausländermeldekartei” bis zur Stilllegung der analogen Kartei Anfang der 1980er Jahre und stellen dar, wie im Rahmen des Forschungsprojekts zur “Ausländermeldekartei” der Stadt Osnabrück, das in diesem Jahr an der Universität abgeschlossen wird, aus einer analogen Großkartei ein digitaler Forschungsdatensatz hergestellt werden konnte.

Jeanine Wasmuth & Christoph Rass: Die Osnabrücker Ausländermeldekartei. Vom Karteigut zum Forschungsdatensatz, in: Archiv-Nachrichten Niedersachsen, 27/2023, S. 42-61.

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Weitere Publikationen zur Osnabrücker “Ausländermeldekartei”

Christoph Rass, Max Pochadt & Janine Wasmuth: Migration aus Spanien nach Osnabrück zwischen 1960 und 1980 im Spiegel der Osnabrücker Ausländermeldekartei: Mobilität, Ankunft, Sozialprofil, in: Osnabrücker Mitteilungen 128/2023, S. 295-322.

Christoph Rass, Sebastian Huhn, Sebastian Bondzio u.a.: Die Osnabrücker Ausländermeldekartei 1930-1980. Potenziale als Quelle der Stadt- und Migrationsgeschichte, in: Osnabrücker Mitteilungen (126/2021), S. 137-194.

NGHM-Tracker (4/2024)

Der monatliche Newsletter der Arbeitsgruppen der Professur Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung der Universität Osnabrück

Die vorlesungsfreie Zeit nutzte das NGHM-Team für einen einwöchigen Workshop mit Wissenschaftler:innen, Studierenden und zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Belarus im Rahmen des Projekts “Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus”. Aber wie immer wurde nicht nur in Osnabrück fleißig weitergearbeitet, viele Kolleg:innen nutzten den März auch für Feld- und Forschungsaufenthalte im In- und Ausland. Über die Aktivitäten der Arbeitsgruppe Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung in den vergangenen Wochen berichtet unsere März-Ausgabe.

Von Ella Malin Visse & Jessica Wehner

Einblicke

Vom 11. bis zum 16. März war die Professur NGHM Gastgeberin für 20 belarusische Wissenschaftler:innen, die sich kritisch und reflexiv mit Geschichts- und Erinnerungskultur befassen. In der von Prof. Dr. Christoph Rass, Mirjam Adam und Lukas Hennies in Zusammenarbeit mit Aliaksandr Dalhouski ausgerichteten Workshopwoche Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus (gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) kamen Forschende und Studierende verschiedener Disziplinen in Osnabrück zusammen, um gemeinsam digital public history Formate zu entwickeln, die von Initiativen für eine reflektierte Erinnerungsarbeit selbstbestimmt eingesetzt werden können. Am Ende der fünftägigen, intensiven Arbeitsphase standen Prototypen für Websites, digitale Stadtrundgänge für mobile Endgeräte und 360°-Panorama-Touren zu den Gewalt- und Erinnerungsorten in Mogilev, Azaryčy und Minsk, die die Projektbeteiligten nun selbständig weiterentwickeln und für ihre Arbeit nutzbar machen können.

Mit der Workshopwoche verband sich eine ganze Reihe auch öffentlicher Veranstaltungen: Am 13. März 2024 wurde die Fotoausstellung “Orte und Erinnerung” des inzwischen in Israel lebenden belarusischen Fotografen und Historikers Alexander Litin im Studierendenzentrum der Universität Osnabrück (Gebäude 53) eröffnet. Die 20 ausgestellten Fotografien von Alexander Litin werden in Osnabrück erstmals überhaupt öffentlichen gezeigt und dokumentieren, ergänzt durch Texte von Ida Schenderowitsch, die Transformation und Überlagerung von Erinnerungskulturen in Belarus. Die Ausstellung ist noch bis zum 17. April im Studierendenzentrum zu sehen.

Den 80. Jahrestag der Deportationen von Azaryčy nahmen Aliaksandr Dalhouski und Christoph Rass zum Anlass, mit dem öffentlichen Vortrag “Osaritschi 1944. Ereignis und Erinnerung” im Ratssitzungssaal der Stadt Osnabrück an die Opfer dieses Kriegsverbrechens zu erinnern und sich zugleich mit den Tätern in ihren gesellschaftlichen Kontexten und mit der Erinnerung an dieses Kriegsverbrechen in Deutschland und Belarus zu befassen. Vom 12. bis zum 19. März 1944 deportierten Truppen der 9. Armee der Wehrmacht etwa 50.000 Menschen, die sie als „unnütze Esser“ einstuften – vor allem Alte, Kranke, Personen mit Behinderungen und Frauen mit kleinen Kindern – in Lager nahe der Frontlinie beim Dorf Azaryčy und ließen sie dort als „menschliche Schutzschilde“ bei einer eigenen “Frontbegradigung” zurück. Etwa 9.000 Menschen starben während der Deportationen oder an ihren Folgen. Rass und Dalhouski thematisierten die Hintergründe, die Planung und die Umsetzung dieses Kriegsverbrechens der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und diskutiert die Aufarbeitung sowie die Erinnerungskultur in diesem Kontext in Belarus und Deutschland.

Detaillierte Berichte zu allen Veranstaltungen finden sich auf dem NGHM-Wissenschaftsblog.

Am 12. März war das Team der Professur Neueste Geschichte und Historische Migrationsoforschung der Universität Osnabrück gemeinsam mit seinen Projektpartner:innen aus Göttingen, Riga und Minsk mit der Abschlussveranstaltung des vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur finanzierten trinationalen, digitalen Projekts “In Stein gemeißelt? – Digital erfahrbare Erinnerungsdiskurse im Stadtraum von Niedersachsen und Osteuropa” zu Gast in der Universitätsbibliothek auf dem Campus Westerberg. Ein Jahr lang haben mehr als 40 Studierende und geschichtswissenschaftlich Forschende Gedenkorte an den insgesamt fünf Projektstandorten dreidimensionalen Modelle von Denkmälern digitalisiert, deren Umgebung über 360°-Panoramafotografien eingefangen, die Hintergründe dieser Orte und ihrer Bedeutung recherchiert und ihre Ergebnisse mit Unterstützung des Kulturerbes Niedersachsen auf einer gemeinsamen Website zusammengetragen, die materielle Erinnerungskultur an vier Standorten in drei Ländern kontextualisiert und in Beziehung setzt. Beteiligt an “In Stein gemeißelt” waren neben der NGHM das Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen, die Geschichtswerkstatt Minsk, die Fakultät für Geschichte und Philosophie der Universität Lettlands in Riga und das Museum Friedland.

Am 12. März brach die Arbeitsgruppe des Projektes “Die Emslandlager als Konfliktlandschaften in Transformation: Forschendes Lernen am Schnittpunkt von universitärer Lehrer:innenbildung, Gedenkstättenpädagogik und partizipativer digital public history” – Imke Selle, Lea Horstmann und Lina-Sofie Winkler – ein erstes Mal für eine Digitalisierungskampagne ins Emsland auf. 

Mitarbeiter:innen der Arbeitsgruppe nach der Digitalisierung des ehemaligen Lagerstandortes Walchum (v.l.n.r.: Imke Selle, Lea Horstmann, Lina-Sofie Winkler)

In dem von Pro*Niedersachsen geförderten Projekt erforscht die Professur für die Didaktik der Geschichte in Kooperation mit der Gedenkstätte Esterwegen sowie in enger Zusammenarbeit mit der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung die Transformation der Standorte der ehemaligen ‘Emslandlager’. Ziel des Projektes ist es, die Überformung der Standorte der Emslandlager von ihrer Nutzung als Lager bis heute digital zu dokumentieren und analysieren. Dies geschieht im Rahmen des Forschenden Lernens mit dem Ziel, das Ineinandergreifen sich wandelnder diskursiver Konstruktionen und materieller Repräsentationen – mit dem Ergebnis der Produktion von Sicht- oder Unsichtbarkeit – aus gegenwärtigen pluralen Perspektiven zu erschließen. 
In den vergangenen Wochen stand die Digitalisierung der ehemaligen Lagerstandorte im Fokus der Arbeitsgruppe. Abgestimmt auf den landwirtschaftlichen Kalender fand die Kampagne in zwei Abschnitten statt. Unterstützung leistete dabei der Landkreis Emsland: Für das Projekt beflog der Drohnenpilot des Landkreises Emsland mit einer Drohne den ehemaligen Lagerstandort in Fullen und die Kriegsgräberstätte Fullen. Ein ausführlicher Bericht zum Verlauf der Arbeiten und ersten Ergebnissen folgt in Kürze auf dem NGHM-Blog.
Ein herzlicher Dank gilt allen Eigentümer:innen der Grundstücke sowie dem Landkreis Emsland bei der Unterstützung der Digitalisierungskampagne!

Parallel zu Workshop und Feldforschung zog es andere Kolleg:innen wieder ins Archiv. Am 13. März brach Jessica Wehner zu einer Archivrecherche nach Paris auf, um dort letzte Recherchen für ihr Projekt “Normen, Praktiken & Marginalität. Aushandlungen an den Rändern des Displacement-Managements der International Refugee Organization (1946-1952)” im Nationalarchiv durchzuführen. Dort wird der Bestand der International Refugee Organization aufbewahrt, in dem sich für die Fragestellung hochrelevante Dokumente finden.
Ebenfalls in Paris fand am 25. und 26 März ein Workshop, ausgerichtet von Marianne Amar, Célia Keren und Laure Humbert, im Musée de l’Histoire de l’immigration statt, der sich einem ersten Entwurf für ein Publikationsprojekt (Special Issue) mit neuesten Forschungsergebnissen zur Geschichte der Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg widmete.

Gemeinsam mit bekannten Kolleg:innen macht die Arbeit und die Diskussion von Texten am meisten Spaß (vlnr: Jessica Wehner, Kasia Nowak, Samantha Knapton, Johannes Glack und Lena Christoph)
Eines der von Michael Schmidt digitalisierten Dokumente aus der Sammlung Richard

Ebenfalls ad fontes ging es ab dem 1. März für Michael Schmidt im Emsland Moormuseum. Dort bearbeitet er das von Pro*Niedersachsen geförderte Projekt “Erforschung der Sammlung Richard als Quelle zu Torfabbau und Produktentwicklung in Deutschland von 1950 bis 1980”, das in Kooperation zwischen dem Museum und der Professur Neueste Geschichte und historische Migrationsforschung durchgeführt wird. Im ersten Projektabschnitt geht es darum, einen Überblick über das Quellenmaterial zu erarbeiten. Es handelt sich vor allem um Geschäftsaufzeichnungen Richards, Sammlungen zu speziellen Aspekten des Themas Torf, geschäftliche Kontakte, Reiseunterlagen und -berichte sowie eine Sammlung von Vorträgen Richards. Vorbereitet wird damit die Digitalisierung der Dokumente, um diese für Erschließung und Auswertung aufzubereiten. Schon die ersten Einblicke in das Material bestätigen, dass die Sammlung Richard eine bedeutende Quelle zum Thema Torfproduktion und -verarbeitung ist. Aktuell hat Michael Schmidt Unterlagen zur DGMT, der Deutschen Gesellschaft für Moor- und Torfkunde, in Bearbeitung. Dieser Teilbestand zeit vor allem, dass es innerhalb dieser Interessenvereinigung zu Richards Zeiten durchaus widerstreitende Ansichten gab. Für Mitte Mai ist eine weitere gemeinsame Arbeitsphase mit Prof. Dr. Christoph Rass im Moormuseum geplant. Auch eine Exkursion ins Moormuseum ist in Planung, um die Sammlung Richard und das Museum den Osnabrücker Studierenden vorzustellen.

Dr. Michael Haverkamp, Dr. Michael Schmidt, Prof. Dr. Christoph Rass, Markus Jähnchen (vlnr; Foto: Moormuseum)

Notizen

Im März erschien im Journal American Historial Review der Aufsatz Migrating Concepts. The Transatlantic Origins of the Bracero Program, 1919-42 von Christoph Rass und Julie M. Weise (University of Oregon). In diesem Beitrag widmen die Autor:innen sich unter anderem Fragen wie: Wie verbreiten sich migrationspolitische Ideen und Konzepte transnational? Wie beobachten unterschiedliche Akteure Diskussionen und Entwicklungen und transportieren ihr Wissen in andere Diskursräume? Wie verändert sich über solche Translationen die Produktion der Bedeutung von Migration?

Blogbeiträge im März

Ausblick & aktuelle Termine

Am 1. April startet an der Universität Osnabrück der SFB 1604 “Produktion von Migration”. Ganz im Zeichen dieses richtungsweisenden Forschungsprogramms weisen wir auf zwei Veranstaltungen des NGHM-Teams im April hin:

Am 5. April richten Prof. Dr. Christoph Rass, Dr. Sebastian Huhn und Dr. Marcel Berlinghoff einem interdisziplinären Workshop über die Konzeptionalisierung der Agency von Zwangsmigrant:innen aus. Genauere Hinweise und ein ausführliches Programm finden Sie auf unserem Blog.

Außerdem findet am 15. und 16 April die Tagung “Negotiating Global Migrations, 1944-1959”, ausgerichtet von der Universität Wien (Kerstin von Lingen) und der Universität Osnabrück/IMIS (Christoph Rass und Frank Wolff) im Rahmen des DACH-Projekts Norms, Regulation and Refugee Agency. Negotiating the Regime, statt. Die Anmeldung zur Tagung sowie ein ausführliches Programm finden Sie auf der Projekt-Homepage.

Konzepte von Agency in Fluchtforschung und Historischer Migrationsforschung. Interdisziplinärer Workshop von IMIS & SFB1604

Am 5. April 2024 laden Dr. Marcel Berlinghoff, Dr. Sebastian Huhn und Prof. Dr. Christoph Rass zu einem interdisziplinären Workshop über die Konzeptionalisierung von Agency von Zwangsmigrant*innen ein.

Migrationsforscher*innen aus Wien, Luzern, Osnabrück und Berlin diskutieren interdisziplinäre und reflexive Ansätze zur Konzeptionalisierung der Agency von Zwangsmigrant*innen in Vergangenheit und Gegenwart. Dazu bringen IMIS und SFB 1604 unterschiedliche Forschungsperspektiven aus unterschiedlichen Zeitschnitten ins Gespräch: Konzepte von Agency aus der gegenwartsbezogenen Flucht- und Flüchtlingsforschung treffen auf Analysen der Agency von Zwangsmigrant*innen der Historischen Migrationsforschung aus dem Kontext der Vertreibungs-, Flucht- und Displacementkrisen des 20. Jahrhunderts.

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Die Zeit seit dem Ersten Weltkrieg wird oft als “ein Jahrhundert der Flüchtlinge” bezeichnet. Nicht nur gab es immer wieder unermessliches Leid von Zwangsmigrant*innen, sondern auch ständige – und oft fehlgeschlagene – Versuche, durch nationales und internationales Recht sowie durch zahllose Organisationen Hilfe zu organisieren. Die öffentlichen und politischen Diskurse sowie die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Zwangsmigration sind daher so alt wie das Phänomen selbst.

Die reflexive Wende in der Migrationsforschung mahnt an, die Produktion und Koproduktion von Definitionen, Kategorien, Konzepten und Darstellungen von Migration durch die Wissenschaften selbst zu erkennen und kritisch zu untersuchen. Gleichzeitig – und oft im Gleichschritt mit reflexiven Ansätzen – plädiert der Ansatz der Autonomie der Migration für eine andere Perspektive in Bezug auf die Agency von Zwangsmigrant*innen bei der Aushandlung ihrer Mobilität. Diesen Impuls nimmt am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück ab April 2024 der Sonderforschungsbereich (SFB) 1604 Produktion von Migration auf.

Unser Workshop greift dabei drei aufeinander bezogene Fragen auf: (1) Wie lässt sich durch einen Perspektivwechsel besser verstehen, auf welche Art und Weise Migrant*innen selbst zur Produktion von Migration beitragen bzw. Prozesse der Herstellung und Anwendung von Kategorien in Migrationsregimen beeinflussen können? (2) Wie beeinflussen Wahl und Anwendung unterschiedlicher theoretischer Konzepte von Agency im Forschungsprozess die Betrachtung dieses Phänomens? (3) Was können Migrationsforscher*innen durch eine Übertragung solcher Konzepte zwischen verschiedenen Zeithorizonten und Fallstudien über heuristische Potentiale lernen?

Der Workshop verbindet solche Ansätze, um zu einer kritischen und reflexiven Debatte darüber beizutragen, wie die akademische Wissensproduktion – hier zu Konzepten von Agency – über Migration dazu beiträgt, was Migration in der Gesellschaft bedeutet und bringt Migrationsforscher*innen aus verschiedenen (Sub-)Disziplinen zusammen, um ihre Ansätze und deren Wirkung zu diskutieren.

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PROGRAMM

Zwischenbericht des Projekts “Digitale Editionen der Selbstzeugnisse des Glandorfer NSDAP-Organisationsleiters Bernhard Beckmann”

Von Valentin Loos & Maik Hoops

Das Projektteam „Digitale Edition der Selbstzeugnisse des Glandorfer NSDAP-Organisationsleiters Bernhard Beckmann“ um Maik Hoops hat wichtige Meilensteine erreicht. 

Das Projekt der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung der Universität Osnabrück und des Heimat- und Kulturvereins Glandorf e.V. kommt im Frühjahr 2024 zum Abschluss.

Das Projekt-Team “Digitale Edition der Selbsterzeugnisse des Glandorfer NSDAP-Organisationsleiters Bernhard Beckmann (vlnr: Julia Grewe, Valentin Loos und Maik Hoops, leider fehlt Vincent Jakubowski; Foto: Annika Heyen)

Ein Workshop mit unserem Kooperationspartner, dem Heimat- und Kulturverein Glandorf e.V., im Oktober sowie auch eine Projektpräsentation im Rahmen des Hochschulinformationstages (HIT) im November des vergangenen Jahres boten dem Team willkommene Anlässe zur Reflexion der erzielten Teilerfolge und stellten gleichzeitig die Weichen für die nächste Phase der Projektarbeit. 

Nun arbeiten die Projekthilfskräfte Julia Grewe, Vincent Jakubowski und Valentin Loos am Ausbau der Editionswebsite, die nach Projektabschluss zur kulturellen, didaktischen und wissenschaftlichen Weiternutzung in die Verantwortung unseres Kooperationspartners übertragen und online gestellt wird.  

In der ersten Projektphase wurden die Transkription und die digitale Aufbereitung der Selbstzeugnisse von Bernhard Beckmann aus der NS-Zeit und insbesondere aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs umgesetzt. Danach begann in einer zweiten Phase die Bearbeitung der Tagebücher Beckmanns aus dem Ersten Weltkrieg.

Inzwischen hat das Projektteam die Workflows für die Transkription der handschriftlichen Dokumente mit Hilfe der KI-gestützten Modelle der Software Transkribus operationalisiert. Zunächst werden die Seiten einer Layout-Analyse unterzogen, wodurch einzelne Wörter, Zeilen, Absätze und Textregionen erkannt und dargestellt werden. Darauf basierend folgt die Anwendung eines adaptierten und vom NGHM-Team auf Beckmanns Handschrift weitertrainierten Texterkennungsmodells, welches die in Kurrentschrift vorliegenden Dokumente in einen maschinenlesbaren Text umwandelt.

Eine beispielhafte Ansicht des Arbeitsbereiches in der Software Transkribus zeigt die einzelnen Arbeitsschritte Layout-Analyse, Texterkennung und Transkription.

Die Zwischenergebnisse der Layout-Analyse und der Texterkennung für den insgesamt über 1000 Blätter umfassenden Quellenkorpus erforderten nach dem Einsatz von Transkribus eine aufwändige Nachbearbeitung, um letztendlich ein fehlerfreies, quellentreues und publikationsfähiges Transkript zu erstellen. 

Projekthilfskraft Vincent Jakubowski bei der Bereinigung des Transkripts mithilfe der Software Transkribus

Die so entstandenen Transkripte bilden die Grundlage für die weitere Arbeit an der Edition. Sie werden mit Hilfe eines eigens entwickelten und auf die Funktionalitäten der Open-Source Software Omeka abgestimmten Editionsleitfadens für die Übertragung auf die Projektwebsite aufbereitet. Sind die Transkripte vollständig übertragen, werden textkritische Anmerkungen sowie Sachkommentare in Form von (Overlay-)Fußnoten und Querverweisen eingepflegt. Darüber hinaus sind die Transkripte mit mit Scans der handschriftlichen Beckmann‘schen Tagebucheinträge verlinkt, sodass Lesende einen eins-zu-eins-Abgleich von Original und Transkript vornehmen können.  

Aktuell arbeitet das Team am Aufbau des sachkritischen Anmerkungsapparats sowie eines Glossars, in welchem über Verlinkungen, Mouseovers und Pop-up-Fußnoten weiterführende Informationen zu zentralen Orten, Gebäuden und Personen geführt werden, die in Beckmanns Schriften eine wiederkehrende Rolle einnehmen, sowie an der Erweiterung begleitender theoretisch-methodischer Kapitel zur Konzeption und Bedeutung der Edition. Bis zum Projektabschluss geht es dann noch um den Feinschliff von Layout und Funktionalitäten der Editionswebsite .

Projektkoordinator Maik Hoops konnte zugleich im Februar an dem von der Universitätsbibliothek Osnabrück angebotenen Workshop “Going digital – Edieren lernen mit digitalen Tools” teilnehmen, um Orientierung, Ideen und Tipps zur Umsetzung digitaler Editionen zu gewinnen, Antworten auf offene Fragen zu erhalten und sich über Erfahrungen mit der Gestaltung digitaler Editionen auszutauschen.

Schwerpunktmäßig ging es in dem Workshop um die grundlegende editorische Durchdringung von historischen Quellen im XML-Format mithilfe des XML-Editors Oxygen. Dabei wurde praktisch erarbeitet, wie Quellen mithilfe dieses Tools und entlang der von der Text Encoding Initiative (TEI) entwickelten Standards in einem datenbanksicheren Format editorisch erschlossen, ausgezeichnet und aufbereitet werden können. Gegen Ende des Workshops wurde dann der TEI Publisher als Tool zu Veröffentlichung der im XML-Format aufbereiteten Quellen diskutiert.

Ein Ausschnitt eines Tagebucheintrages auf der Omeka-Editionswebsite

Die Reflexion der Arbeit am eigenen Editionsprojekt vor dem Hintergrund der Teilnahme am Workshop lässt die Eigentümlichkeiten unseres Projekts deutlich werden: Es zielte darauf ab, eine große Menge von Quellenmaterial und -text (über 1000 Blatt Tagebücher und weitere Selbstzeugnisse) unter Einsatz begrenzter Ressourcen möglichst effizient in einem für eine breite Leser:innenschaft nutzerfreundlichen und kostenfreien Format zur Veröffentlichung zu bringen – ein Vorhaben, das sich mithilfe von Omeka hervorragend realisieren lässt. Zur Gewährleistung nachhaltiger Nutzung sollen die digitalen Produkte dann so einfach zu hosten sein, dass der Heimat- und Kulturverein das Produkt vollständig in seine Verantwortung übernehmen kann. Solche Erwägungen stellen Fragen nach einem guten Gleichgewicht zwischen Funktionsvielfalt und Standardtreue von Softwaretools und pragmatischer Nutzbarkeit in nicht-wissenschaftlichen bzw. wissenschaftsnahen public history Formaten.

In Kürze werden die, größtenteils handschriftlichen, Originalschriften Beckmanns aus den Jahren 1914 bis 1945 mitsamt Transkription, text- und sachkitischem Anmerkungsapparat sowie einem Glossar online frei zugänglich sein. Eine tiefgehende datenbanksichere Erschließung und Auszeichnung der Schriften Beckmanns hingegen konnte auf diesem Wege nicht gewährleistet werden.

„Einige Tausend ungezählte Kleinkinder“ – Gedenken an die Opfer der Deportationen von Ozarichi/Azaryčy in Belarus am 80. Jahrestag.

In der Woche vom 12. bis zum 19. März jährt sich eines der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht zum 80. Mal. Truppen der 9. Armee der Wehrmacht deportierten etwa 50.000 Menschen, die sie als „unnütze Esser“ einstuften – vor allem Alte, Kranke, Personen mit Behinderungen und Frauen mit kleinen Kindern – in Lager nahe der Frontlinie beim Dorf Ozarichi und ließen sie dort als „menschliche Schutzschilde“ beim eigenen Rückzug zurück.

Etwa 9.000 Menschen starben während der Deportationen oder an ihren Folgen. Den 80. Jahrestag dieser Tragödie nahmen Aliaksandr Dalhouski und Christoph Rass zum Anlass, mit einem öffentlichen Vortrag im Ratssitzungssaal der Stadt Osnabrück an die Opfer dieses Kriegsverbrechens zu erinnern und zugleich sich zugleich mit den Tätern und ihrer Gesellschaft zu befassen, die solche Taten hervorbringen konnte.

Möglich wurde der Vortrag im Rahmen des Projekts „Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus“ durch eine Kooperation mit dem Osnabrücker Friedensbüro.

Ihrem Abschlussbericht an die Heeresgruppe Mitte legte die 9. Armee ausführliches Kartenmaterial zur Dokumentation der Deportationen bei (Quelle: Bundesarchiv).

Kaum einer der Landstriche, die zwischen 1939 und 1945 unter deutsche Besatzung gerieten, erlitt so schwere Verwüstungen wie das Territorium der heutigen Republik Belarus. Insgesamt verloren zwischen 2,2 und 3 Millionen der vormals 10 Millionen Einwohner:innen des Landes ihr Leben. Neben Maly Trascjanec, nach Auschwitz einer der furchtbarsten Tatorte des natonalsozialistischen Völkermordes, waren die Deportationen von Ozarichi ein tiefe Narben im kollektiven Gedächtnis hinterlassendes Ereignis; ein Kriegsverbrechen, das von einer ganzen Armee begangen wurde, mit Tausenden Soldaten, die von der Planung über das Zusammentreiben der Opfer bis zur Bewachung der Lager und bis zum Mord an Tausenden ihre Tatbeiträge leisteten. Nur wenige der Täter wurden nach dem Krieg zur Verantwortung gezogen; ein Bewusstsein für Tat und Täter entwickelte sich in Deutschland nur langsam und spät.

Eine detaillierte Statistik der Wehrmacht zeigt die Bewegung der Opfer zwischen den Lagern (Quelle: Bundesarchiv).

Auch in Belarus haben die Opfer von Ozarichi nur schwer ihren Platz in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzung gefunden. Die Ereignisse des März 1944 passten nicht zur offiziellen sowjetischen Geschichtsschreibung, laut der Belarus ein Mittelpunkt der antifaschistischen Partisanenbewegung gewesen war; ein Mythos der sowohl die Heterogenität des Widerstandes wegwischte als auch wenig Raum ließ für einen differenzierten Umgang mit den Opfern des Krieges. Obwohl die Ozarichi-Überlebenden immer wieder versuchten, auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen, bestimmte die Sicht der Veteranen der Roten Armee die Wahrnehmung der Ereignisse.

Die anschließende Diskussion mit den Zuschauer:innen kreiste um aktuelle Ansätze und Herausforderungen für eine bi-nationale Erinnerungskultur an die Verbrechen unter deutscher Besatzung in Belarus im Allgemeinen und an Ozarichi im Speziellen: Wie zugänglich sind die historischen Orte in Belarus angesichts des Krieges Russlands gegen die Ukraine noch für deutsche Reisende?

Eine Lagekarte der Wehrmacht zeigt die Position der Lager bei Ozarichi im Gefechtsgebiet des 56. Panzerkorps (Quelle: Bundesarchiv).

Wie kann die erinnerungskulturelle Arbeit angesichts zunehmenden politischen Drucks auf belarusische Akteure fortgesetzt werden? Antworten darauf, so Christoph Rass und Aliaksandr Dalhouski, sind Projekte wie die Kooperationen zwischen der von dem IBB Dortmund finanzierten Geschichtswerkstatt Minsk und der Universität Osnabrück sowie der Einsatz digitaler Tools, die ein höheres Maß an erinnerungskultureller Partizipation, sowohl im Hinblick auf das Gedenken als auch bezogen auf das Erzählen von Vergangenheit ermöglichen.

Eingebettet war der Vortrag in die von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) finanzierten Workshopwoche „Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus“, in der Wissenschaftler:innen, Studierende und andere Akteur:innen aus der belarusischen Zivilgesellschaft – viele von ihnen im Exil lebend – solche digital public history Formate entwickeln, die von Initiativen für eine reflektierte Erinnerungsarbeit selbstständig eingesetzt werden können. Vor Beginn des Vortrags konnten die belarusischen Gäste unter der Führung des Historikers Thorsten Heese vom Museumsquartier Osnabrück den historischen Friedenssaal, in dem 1648 mit den protestantischen Gesandten über das Ende des Dreißigjährigen Krieges verhandelt worden war, und den Osnabrücker Ratsschatz bewundern. Das Thema der Führung: die Bedeutung und Herstellung von Frieden.

Ozarichi 1944 – Vortrag 80 Jahre nach deutschem Kriegsverbrechen in Belarus im Osnabrücker Ratssitzungssaal

Als Teil einer Projektwoche zu kritischer Erinnerungskultur zur deutschen Besatzungsherrschaft, dem Vernichtungskrieg und der Shoah in Belarus an der Universität Osnabrück findet am 15. März 2024 um 19 Uhr im Ratssitzungssaal der Stadt Osnabrück ein Vortrag über die Deportationen bei Ozarichi, Belarus, im März 1944 statt. Es sprechen Dr. Aliaksandr Dalhouski von der Geschichtswerkstatt Leonid Levin in Minsk und Prof. Dr. Christoph Rass von der Universität Osnabrück.

Etwas außerhalb von Ozarichi erinnert seit den 1990er Jahren ein Denkmal an die Opfer der Deportationen. Wie zeichnen sich dort Transformationen der Erinnerungskultur ab? (Foto: Aliaksandr Dalhouski).

Im März 2024 jährt sich zum 80. Mal eines der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Belarus: Damals deportierten Truppen der 9. Armee der Wehrmacht etwa 50.000 Zivilistinnen und Zivilisten in Lager nahe der Frontlinie beim Dorf Osaritschi und ließen ihre Opfer, darunter viele Mütter mit kleinen Kindern, ältere Menschen, Kranke und Menschen mit Behinderung, dort als „menschliche Schutzschilde“ beim eigenen Rückzug zurück, um „unnütze Esser“ zu beseitigen. Etwa 9.000 Menschen starben während der Deportationen oder an deren Folgen.

Der Vortrag  Osaritschi 1944. Ereignis und Erinnerung thematisiert die Hintergründe, die Planung und die Umsetzung dieses Kriegsverbrechens der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und diskutiert die Aufarbeitung und die Erinnerungskultur in diesem Kontext in Belarus und Deutschland.

Alle Interessierten sind herzlich zu dieser öffentlichen Veranstaltung eingeladen. 

Der Vortrag schließt eine Akademiewoche des Projekts Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus, während der deutsche und belarusische Wissenschaftler:innen, Studierende und zivilgesellschaftliche Akteure gemeinsam an Konzepten und Ideen einer transnationalen und kritisch reflexiven Erinnerungskultur gearbeitet haben.

Das Projekt wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft gefördert und gemeinsam von der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung der Universität Osnabrück mit dem Internationalen Bildungs- und Begegnungwerk (IBB) Dortmund sowie der Geschichtswerkstatt Minsk durchgeführt.

Eröffnung der Fotoausstellung “Orte und Erinnerung” des belarusischen Fotografen und Historikers Alexander Litin

Am Mittwoch, 13. März 2024, wurde die Fotoausstellung “Orte und Erinnerung” des inzwischen in Israel lebenden belarusischen Fotografen und Historikers Alexander Litin im Studierendenzentrum der Universität Osnabrück (Gebäude 53) eröffnet. Die Arbeiten von Alexander Litin zur Shoah werden in Osnabrück erstmals überhaupt öffentlichen gezeigt.

Alexander Litin ist derzeit im Rahmen der Akademiewoche “Mapping the Co-Presence of Violence and memory in Belarus” gemeinsam mit 19 anderen belarusischen (Exil-)Wissenschaftler:innen Gast der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung an der Universität. Gemeinsam mit der Historkerin Ida Schenderowitsch, der stellvertretenden Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Mogilev und einer der führenden Expert:innen für die jüdische Geschichte der Region führte er die Besucher:innen in die Ausstellung und ihre Bilder ein, mit denen sie die jüdische Geschichte und die Erinnerungen an die Shoah in der Region Mogilev dokumentieren.

Bei den gezeigten Aufnahmen handelt es sich um Reportageporträts von Befragten – Juden und Nichtjuden –, die das Leben im Ort vor dem Krieg sowie die Ereignisse während der Besatzung, der Evakuierung und der Nachkriegszeit miterlebt haben. Einen besonderen Platz in der Ausstellung nehmen Aufnahmen von Vernichtungsorten der Shoah und Denkmälern für Holocaust-Opfer ein, die in der Nachkriegszeit errichtet wurden. Ergänzt wird das Bildmaterial durch kleine erläuternde Texte mit Auszügen aus Erinnerungsberichten.

Die 20 Bilder in der Ausstellung repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt aus Litins umfangreichen Werk. Eingebettet in die von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) finanzierten Workshopwoche “Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus” verdeutlichen sie die Transformation und Überlagerung von Erinnerungskulturen, die die Workshopteilnehmenden derzeit gemeinsam mit dem NGHM-Team unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Rass, Mirjam Adam und Dr. Aliaksandr Dalhouski bearbeiten.

Das gezeigte Spekrtum reicht von Bildern von Orten sowjetischer Gedenkkultur bis hin zu Aufnahmen stärker selbstbestimmter Erinnerungsorte jüdischer Gemeinden oder auch von Individuen, die an ihren Lebensorten an die zerstörten jüdischen Gemeinden, die ermordeten Nachbarn und die Erfahrungen von Krieg und Shoah erinnern.

Die Fotografien wurden in der Druckerei der Universität produziert, die Bildplatten haben die Werkstätten der Universitätsbilbiothek hergestellt. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis einschließlich Mittwoch, 17. April 2024, im Studierendenzentrum der Universität Osnabrück.

‘In Stein gemeißelt’. Abschlussveranstaltung stellt Ergebnisse eines internationalen Projekts vor.

Am 12. März war das Team der Professur Neueste Geschichte und Historische Migrationsoforschung der Universität Osnabrück gemeinsam mit seinen Projektpartner:innen aus Göttingen, Riga und Minsk mit der Abschlussveranstaltung des vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur finanzierten trinationalen, digitalen Projekts “In Stein gemeißelt? – Digital erfahrbare Erinnerungsdiskurse im Stadtraum von Niedersachsen und Osteuropa” zu Gast in der Universitätsbibliothek auf dem Campus Westerberg.

Ein Jahr lang haben mehr als 40 Studierende und geschichtswissenschaftlich Forschende Gedenkorte an den insgesamt fünf Projektstandorten dreidimensionalen Modelle von Denkmälern digitalisiert, deren Umgebung über 360°-Panoramafotografien eingefangen, die Hintergründe dieser Orte und ihrer Bedeutung recherchiert und ihre Ergebnisse mit Unterstützung des Kulturerbes Niedersachsen auf einer gemeinsamen Website [isg.gvb.de] zusammengetragen, die materielle Erinnerungskultur an vier Standorten in drei Ländern kontextualisiert und in Beziehung setzt.

Beteiligt an “In Stein gemeißelt” waren neben der NGHM das Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Göttingen, die Geschichtswerkstatt Minsk, die Fakultät für Geschichte und Philosophie der Universität Lettlands in Riga und das Museum Friedland.

Die Startseite der Website “In Stein Gemeißelt”. Bitte klicken, um die Seite aufzurufen.

“Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.” Dieses Sprichwort griff Dr. Maria Rhode, Akademische Rätin am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der Georg-August-Universität Göttingen und gemeinsam mit Prof. Dr. Christoph Rass Leiterin des Projekts “In Stein gemeißelt”, in ihrem einleitenden Grußwort auf. Das “Kind” in diesem Szenario war die gemeinsam erstellte Website und das “Dorf” die große Gruppe an Menschen, die sich an diesem Arbeitsprozess beteiligt hatten: Von der Entwicklung des Projektantrags im Sommer 2021 über die Erstellung eines groben Konzepts, die Durchführung von thematisch angepassten Lehrveranstaltungen in Göttingen und Riga, die Auswahl und Digitalisierung von Erinnerungsorten durch die Studierenden, das Recherchieren und Verfassen von objektbiografischen und informativen Texten zu Denkmälern und Leerstellen in der Erinnerungskultur bis hin zum Erstellen und Füllen der Website waren es 60 Personen.

43 Gedenkorte bzw. Leerstellen in der Erinnerungskultur haben die Projektbeteiligten für die gemeinsame Website digitalisiert und gesammelt. Bitte klicken, um die Seite aufzurufen.

Projektziele- und Umsetzung

Ziel des Projekts war es ursprünglich, nachzuzeichnen, wie der geteilten Geschichte von begangenem und erfahrenem Unrecht im 20. Jahrhundert an verschiedenen Standorten gedacht und welchen Orten dabei Sinn verliehen bzw. welche Orte dabei unbeachtet bleiben. Dabei sollten Vernetzungen zwischen Niedersachsen als Standort dieser geteilten Geschichte und Osteuropa sichtbar gemacht werden. Die Erkenntnisse dieser ersten beiden Schritte sollten anschließend in niedrigschwelligen Formaten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Diese Projektziele erweiterten sich methodisch im Verlauf des Erarbeitungsprozesses, immer stärker rückte die Idee in den Vordergrund zu erproben, wie Studierende und Akteur:innen aus er Zivilgesellschaft über kostengünstige oder sogar kostenlose digitale Tools Erinnerungsorte und Erzählungen über Vergangenheit einfangen und zusammenführen können.

Drei Länder – drei Erinnerungskulturen?

Wie sich die jeweiligen Erinnerungskulturen in Deutschland, Belarus und Lettland seit Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelt hatten, trugen Dr. Maria Rhode, Dr. Aliaksandr Dalhouski, Dr. Katja Wezel und Dr. Mārtiņš Mintaurs, letzterer digital aus Riga zugeschaltet, überblickhaft vor. Die Moderation übernahm Annika Heyen, die zusammen mit Jennifer Frank vom Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte der GAU Göttingen die Koordinatorin des Projekts ist und die Arbeit des Osnabrücker Teams leitet. Maria Rhode aus dem Göttinger Projektteam skizzierte in ihrem Beitrag den Weg deutscher Erinnerungskultur vom “dröhnenden Schweigen”, Selbstviktimisierung hin zum Entstehen erster Gedenkstätten – zunächst in der DDR ab den späten 1950er Jahren, ab den 1980er Jahren auch in der Bundesrepublik – hin zu einer zunehmenden Öffnung des Gedenkens nicht nur für weitere Opfergruppen des NS-Regimes neben den ermordeten Jüdinnen und Juden, sondern auch für Opfer anderer Genozide, wie etwa die Herero und Nama, die Opfer des Holodomor und die verfolgten und ermordeten Armenier.

Aliaksandr Dalhouski, stellvertretender Leiter der Geschichtswerkstatt Minsk, Lehrbeauftragter an der Universität Osnabrück und zuständig für die Erarbeitung der belarusischen Projektbeiträge, zeichnete die Entwicklungslinien der belarusischen Erinnerungskultur von der sowjetischen Zeit über die Phase größerer Demokratisierung in der Gedenkarbeit während der Glasnost und Perestroika hin zu einer re-Sowjetisierung seit Regierungsantritt Aljaksandr Lukaschenkas 1994 und damit verbundenen aktuellen Herausforderungen im öffentlichen Gedenken an Gewaltereignisse des 20. Jahrhunderts nach.

Dass auch in Lettland öffentliches Gedenken stark vom Staat beeinflusst wird, referierten Katja Wezel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der GAU Göttingen, und Mārtiņš Mintaurs, Assistenzprofessor an der Fakultät für Philosophie und Geschichte an der Universität Lettlands, aus dem Team Riga. Ihnen zufolge lässt sich die lettische Erinnerungskultur an das 20. Jahrhundert vor allem in zwei große Themenbereiche einteilen: in das Erinnern an die Verbrechen nationalsozialistischer Täter:innen und an durch das Sowjetregime begangenes Unrecht. Diese Einteilung spiegle sich auch in der Auswahl der digitalisierten Denkmäler für die Projektwebsite “In Stein gemeißelt” wider.

Im Anschluss an diese inhaltlichen Vorträge entwickelte Prof. Dr. Christoph Rass Perspektiven, Veränderungen und Chancen für das Zusammenwirken von public history, citizen science und digital history durch die aktuelle Phase der digitalen Transformation – dies allerdings auch vor dem Hintergrund von politischen Herausforderungen für die Persistenz einer kritisch reflektierten Erinnerungskultur in Europa.

Teilhabe an Erinnerungsprozessen nicht nur als Zuschauer sondern als Geschichte erzählende Akteur:innen durch digitale Methoden; über 40 Studierende beteiligten sich in der Göttinger und der Rigaer Lehrveranstaltung sowie als Studentische Hilfskräfte an diesem Experiment und erstellten mithilfe ihrer mobilen Endgeräte Modelle von 43 Erinnerungsorten. Vier von ihnen – Jannik Meier aus dem Göttinger Projektteam, Jan Otto aus dem Team Riga und Johannes Pufahl sowie Tim Ott aus dem Team Osnabrück – stellten den Erarbeitungsprozess, die fertige Website sowie den digitalen Stadtrundgang – eine mobile Version der Seite für unterwegs – vor.

Dabei reflektierten sie nicht nur die besondere Lernerfahrung, die sie durch das Recherchieren und Verfassen von Texten für ein digitales, öffentliches Produkt sammeln konnten, sondern auch die besondere Bedeutung der Erinnerungsarbeit “von unten” im Gegensatz zur staatlich verordneten und dominierten Erinnerungskultur auch an den beteiligten Standorten Minsk und Riga.

Zum feierlichen Projektabschluss kamen viele Projektbeteiligte in Osnabrück zusammen. V.l.n.r.: Aliaksandr Dalhouski, Philip Knäble, Maria Rhode, Jan Otto, Jannik Meier, Annika Heyen, Christoph Rass, Tim Ott und Johannes Pufahl. Es fehlt: Katja Wezel. Foto: Jessica Wehner

Als trinationales, aber dennoch in Niedersachsen beheimatetes Projekt stellt die Website sämtliche Beiträge zu den erfassten Denkmälern in deutscher und englischer Sprache, die Beiträge aus Riga und Minsk zusätzlich in der jeweiligen Landessprache Lettisch bzw. Belarusisch zur Verfügung. Wer die in Stein gemeißelte Erinnerungskultur dreier Länder lieber vor Ort und mithilfe eines mobilen Endgerätes entdecken möchte, kann in Kürze auf unseren digitalen Stadtrundgang zurückgreifen.

‚Migrating Concepts‘ – Julie M. Wise & Christoph A. Rass in der American Historical Review (3/2024).

Wie verbreiten sich migrationspolitische Ideen und Konzepte transnational? Wie beobachten unterschiedliche Akteure Diskussionen und Entwicklungen und transportieren ihr Wissen in andere Diskursräume? Wie verändert sich über solche Translationen die Produktion der Bedeutung von Migration?

Fragen sie diese diskutieren Prof. Dr. Julie M. Weise, Historikerin an der University of Oregon, Eugene, und Prof. Dr. Christoph Rass vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück in ihrem neuesten Aufsatz, der soeben in der American Historical Review erschienen ist.

Migrating Concepts: The Transatlantic Origins of the Bracero Program, 1919–42 

von  Julie M Weise & Christoph Rass, in: AHR 129/2024, pp. 22-52, https://doi.org/10.1093/ahr/rhad500, published 13 March 2024.

Das Bracero-Programm (1942–1964) war bilaterales Abkommen zur Regulierung der Arbeitsmigration zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko in dessen Rahmung mehr als vier Millionen Arbeitsverträge zustande kamen, die es mexikanischen Männern ermöglichten, „vorübergehend“ in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Bisher hat die Forschung dieses bilaterale Wanderungsabkommen vor allem im Kontext der Machtverhältnisse zwischen Mexiko und den USA und mit Blick auf us-amerikanische Hegemonialpolitik interpretiert.

Der nun vorliegende Artikel zeigt jedoch, dass der Aushandlung des Bracero-Programms zwei Jahrzehnte transatlantischer Austausch und Wissenstransfer vorausgegangen sind. Während der Zwischenkriegszeit beteiligten sich mexikanische Politiker, Intellektuelle und Aktivisten mit viel Energie an transatlantischen und interamerikanischen Dialogen über Migrationspolitik, analysierten Italien als ein Beispiel erfolgreicher Politik zum Schutz von Migrant:innen und studierten die bilateralen Abkommen zur Regulierung zwischenstaatlicher Arbeitsmigration, die sich seit dem Ende des Ersten Weltkrieges in Europa verbreiteten und von der Internationalen Arbeitsorganisation in ihrem Arbeitsprogramm aufgegriffen wurden.

Auch auf us-amerikanischer Seite begann in der Zwischenkriegszeit das Interesse an dieser neuen europäischen Institution zu wachsen und eine intensive wissenschaftliche Debatte entwickelte sich an der Wende zu den 1930er Jahren, ob eine Einführung von bilateralen Wanderungsabkommen zur Regulierung temporärer Arbeitsmigration für die Vereinigten Staaten Vorteile bringen könnte. Am Widerstand von Bürokratie und Politik vorbei konnten sich solche Vorschläge indes zunächst nicht durchsetzen.

In beiden Gesellschaften, in Mexiko und den USA, entstand durch diese Aktivitäten Wissen über europäische Migrationspolitiken und ihre Institutionen sowie die wachsende Bedeutung staatlich regulierter Programme zur Steuerung temporärer Arbeitsmigration. Daraus resultierte in Mexiko ein stark positives Verständnis bilateraler Wanderungsverträge, die als ein Instrument gesehen wurden, den Schutz mexikanischer Migrant:innen in den USA zu verbessern. In den Vereinigten Staaten blieb, trotz intensiver Diskussionen über die Vorteile einer veränderten Migrationspolitik, zunächst die Ablehnung einer Abkehr von traditionellen Politiklinien dominierend.

Als die USA Ende 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintragen, veränderte sich die Lage grundsätzlich. Die Vereinigten Staaten strebten nun eine Ausweitung der Anwerbung von Arbeitskräften in Mexiko an, die dortigen Beamten und Politiker indes waren mit mit der Idee bilateraler Wanderungsverträge, wie nun aus dem Norden vorgeschlagen, bestens vertraut und konnten auf dieser Grundlage die Aushandlung des Bracero-Programms 1942 entscheidend mitgestalten.

De Befunde des Beitrags unterstreichen die Notwendigkeit, die Geschichte migrationspolitischer Konzepte als eine transnational verflochtene Wissensgeschichte aufzufassen, bei der Transfers von Wissen und Ideen in komplexeren Bahnen und Mustern beobachtet werden können, als vielfach angenommen.

Weitere Beiträge zum Thema

Erinnerungsorte der Shoah in Belarus. Eine Fotoausstellung von Alexander Litin @ Uni Osnabrück

Im Studierendenzentrum (StudZ) der Uni Osnabrück laufen die Vorbereitungen für die Eröffnung der Fotoausstellung ‘Места и память – Orte und Erinnerung’ von Alexander Litin, der erstmals seine Arbeiten über Erinnerungen und Erinnerungsorte der Shoah in Belarus zeigt.

Im StudZ warten die Bilder der Ausstellung ‘Места и память – Orte und Erinnerung’ auf die Eröffnung (Foto: Lukas Hennies).

Die Ausstellung ist Teil des Projekts Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus bei dem vom 11. bis zum 17. März 2024 an der Universität Osnabrück Studierende, Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftliche Akteure aus Belarus und Deutschland zusammen kommen, um gemeinsam über Wege und Konzepte kritisch reflexiver Erinnerungskultur zu diskutieren.

Die Ausstellung wird am 13. März 2024 um 18 Uhr im Studierendenzentrum der Universität (Gebäude 53) der Universität Osnabrück im Beisein des Fotografen eröffnet.

Lukas Hennies, Mitarbeiter @NGHM/UOS koordiniert den Aufbau der Ausstellung im StudZ (Foto: NGHM)..

Schon Tage zuvor sind Mitarbeiter:innen der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung (Prof. Dr. Christoph Rass), unterstützt von den Werkstätten der Universitätsbibliothek und der Leitung des StudZ, mit Druck und Hängung der Bilder im StudZ beschäftigt, bevor am kommenden Sonntag die Teilnehmer:innen des korrespondierenden Workshops eintreffen und die gemeinsame Arbeit am 11. März 2024 beginnt.

Weitere öffentliche Veranstaltung im Projektkontext sind ein Abendvortrag zu den Deportationen von Osaritschi im März 1944, die sich in der kommenden Woche zum 80. Mal jähren. Am 15. März 2024 um 19 Uhr sprechen Dr. Aliaksandr Dalhouski, Geschichtswerkstatt Minsk, und Prof. Dr. Christoph Rass, Universität Osnabrück im Ratssitzungssaal der Stadt Osnabrück über  Osaritschi 1944. Ereignis und Erinnerung. Alle Interessierten sind herzlich zu dieser öffentlichen Veranstaltung eingeladen. 

In dieselbe Woche fällt die Abschlussveranstaltung des Projekts In Stein gemeißelt? – Digital erfahrbare Erinnerungsdiskurse im Stadtraum von Niedersachsen und Osteuropa, das durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert wird und in dessen Mittelpunkt die kritische Erschließung materieller Erinnerungskultur in Osteuropa und Niedersachsen mit digitalen Methoden steht. Am 12. März 2024 ab 18 Uhr stellen die Mitwirkenden in der Universitätsbibliothek auf dem Campus Westerberg ihre Ergebnisse in einer hybriden Veranstaltung vor. Interessierte können sich unter der E-Mail-Adresse annika.heyen@uni-osnabrueck.de anmelden.

>> Weitere Informationen zu Projekt und Terminen

Kooperation zwischen dem Emsland Moormuseum und der Uni Osnabrück: Projektstart zur Digitalisierung der Sammlung Richard

Im Emsland Moormuseum in Geeste liegt der Nachlass des Ingenieurs Karl-Hinrich Richard (1913-1994), der als ein Pionier technischer Innovation im Torfabbau nach dem Zweiten Weltkrieg gilt. Die Sammlung dokumentiert in mehr als fünfzig Aktenordnern zwischen 1950 und 1980 Ideen und Wahrnehmungen, Analysen und Vernetzungen sowie schließlich Erfindungen und Entwicklungen eines Akteurs, der als Fachingenieur daran beteiligt war, Produktions- und Verarbeitungsmaschinen im Torfabbau zu revolutionieren.

Diesen bisher vollkommen unerschlossen Nachlass will nun ein Kooperationsprojekte zwischen Emsland Moormuseum und Universität Osnabrück (Prof. für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung, Dr. Christoph Rass) digital erschließen und explorativ auswerten.

Dr. Michael Haverkamp, Dr. Michael Schmidt, Prof. Dr. Christoph Rass, Markus Jähnchen (vlnr; Foto: Moormuseum)

Zum Auftakt konnten am 8. März 2024 Dr. Michael Haverkamp, Direktor des Moormuseums, gemeinsam mit dem Projektbearbeiter Dr. Michael Schmidt, Projektleiter Digitalisierung Markus Jähnchen und Prof. Dr. Christoph Rass die Bestände eingehend sichten, die Digitalisierungsstrategie besprechen und erste Perspektiven der Auswertung diskutieren.

Im Rahmen dieses vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur im Programm Pro*Niedersachsen geförderten Projekts bietet das Emsland Moormuseum für Studierende am Historischen Seminar der UOS die Möglichkeit an, Praktika im Rahmen ihrer Studiengänge zu absolvieren. Auch die Gelegenheit, BA bzw. MA Abschlussarbeiten im Kontext des Projekts zu entwickeln. Interessierte Studierende melden sich bitte bei der Professur NGHM.

Projektwoche zu kritischer Erinnerungskultur im Kontext von Holocaust und Vernichtungskrieg @ NGHM | UOS

Vom 11. bis zum 17. März organisiert die Abteilung Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung (Professor Dr. Christoph Rass) gemeinsam mit Kooperationspartnern eine Reihe von Veranstaltungen und Workshops zu kritischer Erinnerungskultur im Kontext von Holocaust und Vernichtungskrieg an der Universität Osnabrück.

>> zur Pressemeldung der Universität Osnabrück

Freiwillige der Geschichtswerkstatt Minsk befestigen heruntergefallene Namensschilder für die Opfer der Shoah im Wald der Namen bei Blagowtschina / Maly Trostenez (Foto: Aliaksandr Dalhouski).
  • Gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft und in Zusammenarbeit mit dem IBB Dortmund sowie der Geschichtswerkstatt Leonid Levin in Minsk findet vom 11. bis zum 17. März an der Universität Osnabrück der Workshop Mapping the Co-Presence of Violence and Memory in Belarus statt, der belarussische zivilgesellschaftliche Akteure, Studierende und Historikerinnen bzw. Historiker mit Studierenden und Wissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftlern der Uni Osnabrück zusammenbringt. Gemeinsam will die Gruppe digital public history Formate entwickeln, die von Initiativen für eine reflektierte Erinnerungsarbeit selbstbestimmt eingesetzt werden können. Ziel ist ein wechselseitiger Lernprozess, bei dem alle Beteiligten von den Erfahrungen und Ideen, die in der Gruppe zusammenkommen, Denkanstöße und Lösungsvorschläge mitnehmen können.
  • Begleitend zum Workshop zeigt die Projektgruppe eine Ausstellung des in Israel lebenden Fotografen Alexander Litin. Die jüdische Geschichte in der Region Mogilew und der Holocaust in Belarus stehen im Zentrum seiner Arbeit. Seit mehr als zwei Jahrzehnten dokumentiert Alexander Litin Erinnerungen und Erinnerungsorte der Shoah. In Osnabrück werden nun erstmals ausgewählte Bilder aus seinem Werk ausgestellt. Die Ausstellung wird im Studierendenzentrum der Universität (Gebäude 53) am 13. März um 18 Uhr im Beisein des Fotografen eröffnet. 
Ein Treffen von Überlebenden der Deportationen bei Osaritschi (1944) im Jahr 1997 am Mahnmal (Foto: Chomec, Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny).
  • Im März 2024 jährt sich zum 80. Mal eines der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Belarus: Damals deportierten Truppen der 9. Armee der Wehrmacht etwa 50.000 Zivilistinnen und Zivilisten in Lager nahe der Frontlinie beim Dorf Osaritschi und ließen ihre Opfer, darunter viele Mütter mit kleinen Kindern, ältere Menschen, Kranke und Menschen mit Behinderung, dort als „menschliche Schutzschilde“ beim eigenen Rückzug zurück, um „unnütze Esser“ zu beseitigen. Etwa 9.000 Menschen starben während der Deportationen oder an deren Folgen. Am 15. März 2024 um 19 Uhr – vor genau 80 Jahren waren die Deportationen in vollem Gang – sprechen Dr. Aliaksandr Dalhouski, Geschichtswerkstatt Minsk, und Prof. Dr. Christoph Rass, Universität Osnabrück, die seit vielen Jahren gemeinsam zu deutschen Kriegsverbrechen in Belarus forschen, im Ratssitzungssaal der Stadt Osnabrück über den Ereignishorizont und die Erinnerungskultur im Kontext der Deportationen von Osaritschi. Der Titel des Vortrags lautet: Osaritschi 1944. Ereignis und Erinnerung. Alle Interessierten sind herzlich zu dieser öffentlichen Veranstaltung eingeladen. 
Marija Rytschankowa aus dem Dorf Wiritschew mit ihren drei Kindern nach der Befreiung aus den Lagern auf dem Weg in die Siedlung Osaritschi am 19. März 1944 (Foto: Alperin, Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny).

In dieselbe Woche fällt die Abschlussveranstaltung des Projekts In Stein gemeißelt? – Digital erfahrbare Erinnerungsdiskurse im Stadtraum von Niedersachsen und Osteuropa, das durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert wird. Es handelt sich um ein Gemeinschaftsprojekt der Professur für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung der Universität Osnabrück, des Seminars für Mittlere und Neuere Geschichte der Georg-August-Universität Göttingen, der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Universität Lettlands in Riga, der Geschichtswerkstatt Minsk, des Museums Friedland und des Kulturerbes Niedersachsen. Im Mittelpunkt steht die kritische Erschließung materieller Erinnerungskultur in Osteuropa und Niedersachsen mit digitalen Methoden. Am 12. März 2024 ab 18 Uhr stellen die Mitwirkenden in der Universitätsbibliothek auf dem Campus Westerberg ihre Ergebnisse in einer hybriden Veranstaltung vor. Interessierte können sich unter der E-Mail-Adresse annika.heyen@uni-osnabrueck.de anmelden.

Die Koordination der Projektwoche im NGHM Team liegt bei Mirjam Adam, Lukas Hennies & Annika Heyen.

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